Zgryźliwość kojarzy mi się z radością, która źle skończyła.
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JOURNAL DES
OESTERREICHISCHEN LLOYD
TRIEST 1848
Nr. 143. 24. Juni 1848.
Die Deutschen im Osten Deutschlands.
D Dass die Landkarte Europa’s in naher Zukunft ein anderes Aussehen haben wird, als sie seit der diplomatischen Eintheilung dieses Welttheils gehabt hat, unterliegt keinem Zweifel; die Schöpfungen der Diplomatie gehen ihrem Untergange entgegen. Welche neuen Gestaltungen sich aber bilden und durch welchen Eintheilungsgrund sie bestimmt werden, das ist vor der Hand noch eine Sache der Vermuthung oder der Prophetie. Indeß sind es doch wiederum die Menschen, die je nach ihren Gedanken und Interessen die künftigen Verhältnisse vorbereiten und darauf hinwirken, daß sie so ausfallen, wie sie ihnen entweder am vernünftigsten oder am zuträglichsten und wünschenswerthesten erscheinen; aus den Plänen und Hoffnungen, welche die Menschen über die Zukunft fassen, gehen ihre Bestrebungen hervor, und diese haben immer auf die Bildung der zukünftigen Dinge mehr oder weniger Einfluß. Jetzt ist z. B. der Plan eines einheitlichen Deutschlands im Schwunge und erfüllt viele deutsche Seelen mit süßen Hoffnungen, ja woh1 gar mit Träumereien von einem altfränkischen Kaiserthum. Die Frage läßt sich nicht mehr umgehen und es ist deshalb wichtig zu sehen, in welcher Weise sich verständige Männer über die zu erwartende Zukunft Europa’s auslassen. Einen solchen Beitrag zur [300] “Reorganisation” Europa’s liefert ein kleines anonymes Schriftchen “Polen, Preußen und Deutschland,” von dessen Entwürfen ich es der Mühe werth halte, einige Kenntniß zu geben.
Der Föderalismus ist eine höhere Form des Völkerlebens als der Centralismus. Denn die Föderation kann sich, wo es noth thut, namentlich in den Beziehungen nach außen, zeitweilig concentriren, so daß sie dann einer Centralgewalt gleichkommt; die Centralisation aber kann nicht umgekehrt eine föderative Gestalt annehmen. Der Föderalismus ist die Verfassungsform der neuen Welt und der Zukunft. Was insbesondere Europa betrifft, so muß Rußland von demselben geschieden werden; Rußland, ein ausschließliches Flachland, characterisirt durch die Wolga, welche dem asiatischen Steppengebiete zuströmt, gehört nicht zum eigentlichen Europa und muß als ein besonderes Mittelstück zwischen Europa und Asien angesehen werden. In dem eigentlichen Europa liegt Deutschland in der Mitte, und darum kommt ihm auch das Mittleramt zu, und zwar ausdrücklich nicht ein Herrscherthum, sondern nur ein Mittleramt, welches sich nach den Ideen eines mehr entwickelten Bewußtseins und nach der gegenwärtigen Lage der Dinge gestalten muß. Denn Deutschland ist kein Nationalstaat und kann es nie werden. Ein Blick auf die Sprachkarte zeigt, wie auf der östlichen Seite hier der Slavismus weithin bis an das Fichtelgebirge in das deutsche Element hineintritt, dort das Deutschthum sich längs der baltischen Küste weit über Polen hinwegzieht, so daß es dem östlichen Deutschland wesentlich ist sich mit slavischen Völkern zu verbinden. Gehören denn nicht jetzt Böhmen, Mähren, Kärnthen und Illirien zu Deutschland, und sind das nicht überwiegend slavische Landschaften? Sie sind aber in politischer Hinsicht Glieder des Reiches, und es gefährdet die deutsche Nation nicht, mit slavischen Völkern in einem Hause zu wohnen, so wenig als es unsere [301] Absicht sein kann und darf, die Nationalität der mit uns verbundenen Slavenvölker zu gefährden.
Dieses Deutschland verbindet sich nach Südosten hin, dem Laufe der Donau folgend, mit allen den Völkern und Stämmen, welche im Gebiete diese Stromes wohnen, von Wien aus bis zum Schwarzen Meere. Da steht also Oesterreich an der Spitze des großen Bundesstaates der Donauvölker. Die sind alle an Oesterreich gewiesen, weil jedes einzeln für sich allein kein besonderes Reich bilden kann, und weil sie mit der Civilisation des Westens nur durch Oesterreich in Verbindung stehen. Sie werden sich an Oesterreich anschließen und treu zusammenhalten, nachdem diese beschränkten und verwerflichen Ideen der Beherrschung des einen Volkes durch das andere abgethan sind, und jeder Theil sich in seiner Art und Weise frei entwickeln kann.
Dieser Vergesellschaftung der Donauvölker, welche durch Oesterreich mittelbar mit dem gesammten Deutschland verbunden sind, wird nach Nordosten hin ein baltischer Bruderstaat entsprechen. Denn, soweit die baltische Küste deutsch ist, – und der reicht nördlich bis zur Narwa –, so weit sind auch die Hinterländer auf eine engere Union mit dem nordöstlichen Deutschland, d. h. mit Preußen hingewiesen, wodurch ihnen allein die Verbindung mit der westlichen Civilisation eröffnet wird. Zwischen Düna, Niemen, Weichsel, Oder und den Landschaften der mittleren und unteren Elbe gibt es nirgends eine erhebliche Naturgrenze. Völker und Staatengrenzen haben sich auf diesem Gebiete unaufhörlich verschoben und verrückt; fortwährend hat man hier freundlich oder feindlich miteinander zu schaffen gehabt, und alles ist hier aufeinander hingewiesen. Daraus muß denn ein baltischer Bundesstaat hervorgehen, bestehend aus Preußen, Polen, Litthauen Curland und Livland, ein Bundesstaat, der sich durch Preußen mittelbar an das gesammte Deutschland anschließen wird.
[302] So werden also Oesterreich und Preußen je ein Hauptglied des deutschen Föderativkörpers bilden, und das dritte Hauptglied sind die übrigen deutschen Staaten zusammengenommen. So wird von dieser deutschen Mittlerschaft aus das System der abendländischen Völker, einst im Mittelalter im Geiste der damaligen Zeit durch die Kirche, durch die Einheit in Kultur und der Lehre zusammengehalten, wiederum zu einer lebendigen Einheit erstehen, im Geiste der Zeit durch eine gemeinsame Civilisation verbunden, und durch einen gemeinsamen Weltberuf. Davon ist Rußland ausgeschlossen und wird fortan alles Einflusses auf die Angelegenheiten der europäischen Völker entkleidet, – eines Einflusses, der sich so verderblich erwiesen und der auch nur aufkommen konnte durch unsere eigenen Zerwürfnisse und durch die Ideelosigkeit der Zeit, die sich nicht über eine schale Cabinetsund Gleichgewichtspolitik zu erheben wußte. So nur konnte ein Barbarenreich zu diesen sinnlosen Prätensionen kommen, ein Wächter an dem Heiligthume der Civilisation sein zu wollen und in den Amphictyonen Europa’s das große Wort zu führen.
Es handelt sich darum, ob Asien europäisch, oder Europa asiatisch werden soll. Und damit dieses letztere nicht geschehe, darf es kein Panslavenreich geben, sondern müssen sich die vorderen Slavenvölker an das westliche Europa anschließen. Rußland hat das mongolische, das asiatische Princip in sich aufgenommen; die Donauslaven und Polen aber haben den ursprünglichen slavischen Typus bewahrt, das Princip der individuellen Freiheit in sich lebendig erhalten und gehören deswegen zu dem eigentlichen Europa. Sie müssen daher sich an Deutschland anschließen, um ein Uebergangsgebiet zu bilden für den europäischen Geist. Und zu dem Zwecke muß der Föderativstaat der Donauvölker und der baltische Föderativstaat gebildet werden.
Der südöstliche Föderativstaat besteht im Grunde schon, [303] während sich der baltische erst bilden muß. In dem großen österreichischen Föderativstaat der Donauvölker werden die Donauslaven sämmtlich eintreten und mit ihnen auch die Walachen, welche gleichfalls in das abendländische Völkersystem und nicht in das russische oder asiatische gehören. Nur diejenige Richtung, welche der Donaustaat gegen Süden hat, unterliegt jetzt harten Zweifeln. In Italien ist das Nationalitätsprincip mit Macht hervorgebrochen, Italien hat sich erhoben. Die Entscheidung des großen Kampfes wird nicht lange auf sich warten lassen. Für den Augenblick ist man für eine gründliche Untersuchung dem gewaltigen Eindruck des Moments preisgegeben. Gibt es doch nicht Wenige, welche die nahe Auflösung der gesammten österreichischen Monarchie in Aussicht stellen, die nach ihrer Meinung nur ein äußerliches, naturwidriges Aggregat ganz unzusammengehöriger Länder sein soll. Und in der That, die Verhältnisse sind augenblicklich verwickelt, die Aufregung ist allgemein; aber Oesterreich wird die Probe siegreich bestehen. Zweimal haben die Türken vor Wien gelegen, und zweimal ist Napoleon in die Kaiserstadt eingezogen, und doch hat sich Oesterreich immer wieder erhoben. Solche Stürme hat der alte Kaiserstaat bestanden, also muß es doch wohl ein tieferes Princip geben, welches diese Monarchie zusammenhält, die eine grundwesentliche Stellung in dem heutigen Staatensysteme einnimmt. Ungarn ist mit den deutschen Erbstaaten unauflöslich zusammengewachsen. Sehen wir nur auf die Sprachkarte. Da zieht sich die slavische Bevölkerung durch Böhmen und Mähren in einem breiten Gürtel in das nördliche Ungarn hinein. Und eben so ist es im Süden, wo sich von Kärnthen an durch das südliche Steiermark und Illirien ebenso das slavische Element durch Croatien und Slavonien in das südliche Ungarn verbreitet. So ist Ungarn wie durch zwei Klammern an die deutschen Erbstaaten gebunden; und diese hinwiederum sind alle durch tausendfache Bande mit [304] dem Erzherzogthum Oesterreich vereint. Wie sich um die Altstadt Wien die Vorstädte herumlagern, so lagern sich die österreichischen Länder um das Erzherzogthum und finden alle in der Kaiserstadt ihren Vereinigungspunkt. – Oesterreich ist in der That der Donaustaat; denn die Donaulande bilden den Kern. Aber es gehören noch zwei Seitenflügel dazu, und das sind Böhmen und ein Theil von Oberitalien. Böhmen ist für Oesterreich unentbehrlich, denn durch Böhmen berührt es das nördliche Deutschland, nimmt Theil an dem Gebiete der Elbe, und die Elbe weist auf die atlantische Welt hin. Diese Beziehung darf Oesterreich nicht fehlen. Wie aber Böhmen der nördliche, so ist die Lombardei der südliche Seitenflügel, und die Verbindung Oesterreichs mit Italien beruht auf tiefen Gründen.
Oesterreich hat hier die Erbschaft des alten deutschen Kaiserthums übernommen, welches nie von Italien lassen konnte. Das erste Auftreten der Germanen waren ihre Züge nach Italien. Diese Züge haben sich seit zwei Jahrtausenden fortwährend wiederholt und werden in veränderter Form immer stattfinden, eine Verbindung mit Italien wird irgendwie immer bestehen. Das deutsche Volk als ein universales Volk muß den europäischen Süden berühren, es muß den Boden der altclassischen Welt berühren. Und ebenso bedarf dieser altclassische Boden Deutschlands. Man lasse sich nicht durch das Aufbrausen des Nationalgeistes blenden. Dieses leichtbewegliche Volk, welches heute den Deutschen Tod schwört, wird sie vielleicht morgen selbst herbeirufen. Jetzt grade, meinen die Italiener, sei der rechte Zeitpunkt zur Errichtung eines Nationalreichs. Und ganz dasselbe hat vor mehr als dreihundert Jahren schon Macchiavell gesagt; er hat sich damals getäuscht, und man wird sich jetzt täuschen. Eine italienische Republik oder ein italienischer Föderativstaat wird nie von Dauer sein, wenn es augenblicklich dahin kommen sollte. Italien ist kein politisches Land. Der große Dante selbst hat [305] es seinen Landsleuten gesagt, daß sie Deutschlands bedürfen. Und die Italieneer sind noch dieselben, die sie damals waren.
Der österreichische Föderativstaat wird also bestehen und die Trennungsgelüste werden verschwinden. Denn man verwechsle nicht Oesterreich mit der Metternich’schen Politik, mit dem Stabilismus und dem Polizeiregiment der gestürzten Regierung, welche Oesterreich so unbeliebt gemacht hat.
So gewiß aber der österreichische Föderativstaat bestehen wird, so gewiß wird sich der baltische Föderativstaat bilden. Polen muß mit Preußen in eine Union treten, dem einen und selbigen Könige huldigen, der abwechselnd in Berlin und in Warschau residiren wird. Denn die Errichtung eines eigenen Polenreiches ist mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft. Erstlich müßten die Polen, um ein besonderes Reich zu bilden, die Küste gewinnen, und dazu wäre ein Krieg zwischen Polen und Preußen unvermeidlich. Beide, getrennt, müßten sich gegenseitig aufreiben. Das eigene Interesse Polens fordert aber, daß es Frieden mit Preußen habe, weil es nur durch Preußen mit der Civilisation des Westens verbunden ist. Sodann würde, was immer man für eine Regierung in Warschau errichten möchte, diese von den Parteien als eine blos factische Macht angesehen werden, die man jeden Augenblick wieder zu stürzen bereit ist. Darum erfordert es die Wohlfahrt Polens, sich an eine bereits bestehende und befestigte Regierung anzuschließen, und nur die Verbindung mit Preußen kann Polen vor einem Bürgerkriege bewahren. Endlich aber fehlt den Polen das bürgerliche Element, was sie durchaus nicht entbehren könnten, wenn sie ein eigenes Reich unter den Formen der westlichen Civilisation bilden wollten. Diese Richtung ist ihnen aber durchaus fremd, und sie würden es darin doch nur zur Mittelmäßigkeit bringen können. Man betrachte den Zustand des polnischen Volkes und man wird zugestehen, das sich da alle Kräfte [306] auf die Regulirung der agrarischen Verhältnisse, auf die Entwicklung des Ackerbaues, auf die Veredlung des Landlebens richten müssen; denn darin liegt allein der Keim der ganzen, socialen, sittlichen und geistigen Ausbildung dieses Volkes. Um aber in dieser Richtung mit Sicherheit verfahren zu können, bedarf Polen einer festen organischen Verbindung mit Preußen und mittelbar mit Deutschland, um für seine überflüssigen Naturproducte die ihm mangelnden Manufacten eintauschen zu können. Dann wird Polen, durch Preußen und Deutschland, mit dem System der westlichen Völker verbunden, bei denen allen mehr oder weniger das gewerbliche Leben überwiegt und die Agricultur selbst einen industriellen Character angenommen hat, als das einzige wesentlich ackerbauende Volk in diesem Systeme dastehen. Und man wird nicht sagen können: Preußen beherrscht Polen; wohl aber: Polen hat in dem einen und selben Königthume mit Preußen ein gemeinsames Centrum der öffentlichen Ordnung und Organisation.
Polen als ein Reich hatte seine Bedeutung in dem Kampfe gegen die Tartaren und Türken, gegen den Islam, es galt als eine Vormauer der Christenheit. Dieser Kampf war damals ein Weltprincip und Polen, demselben dienend, war ein angesehenes Reich. Seit Sobieski gab Polen den Türkenkrieg auf, die Türkenmacht selbst verlor ihr Bedrohliches für Europa und mit ihr verfiel die polnische Macht. Der ganze Fond zu einer politischen Entwicklung ist erschöpft, der Staat als solcher gänzlich erstorben. Was ist geblieben? Die Nation. Diese Nation bildet ein Glied des großen Völkerorganismus; sie hat ihre eigenthümlichen Anlagen, die sich entwickeln müssen; sie hat ihren Beruf, den sie erfüllen muß. Aber sie kann aus sich selbst kein neues Staatswesen hervorbringen, sie kann sich nicht allein regieren. Wer sollte denn regieren? Der Adel? Er hat seine Unfähigkeit hinlänglich documentirt, er hat sein Regierungsrecht verwirkt. Bleibt nur der Bauernstand [307] übrig, denn einen Mittelstand gibt es nicht. Aber der bildet bis jetzt nur eine wüste Masse, die man allerdings fanatisiren kann und dann wird diese Masse vielleicht den Adel todtschlagen, oder sie wird auch die Russen, die Deutschen und die Juden todtschlagen; – aber eine geordnete politische Thätigkeit ausüben, die Staatsgeschäfte leiten, das kann sie nicht. Sie müßte dazu erst erzogen werden. Und eben deshalb ist eine fremde Mittlermacht nöthig, welche der ganzen Entwicklung Maß und Haltung gibt. – Den Adel ausrotten, sagen die polnischen Aristokraten, heißt, die Nation vernichten; denn unser Adel ist der Träger aller unserer geschichtlichen Ueberlieferungen, ohne welche eine Nation nichts ist. Und sie haben recht. Aber dieser Adel, sagen die Demokraten, darf nicht regieren, das Volk muß erhoben werden. Und sie haben auch recht. Allein das Volk ist bloße Masse und zwar eine regierungsunfähige Masse. An diesem Dilemma scheitern alle Versuche. Die früheren aristokratischen Aufstände sind mißglückt und die demokratische Bewegung wird ebenfalls unterliegen. Darum ist eine Mittlermacht unentbehrlich, Preußen kann und muß das Mittleramt ausüben, um die Ansprüche zwischen Adel und Bauern auszugleichen, die Elemente der Nation zu erhalten und zu einem neuen Leben zu entwickeln.
Deutschland kann, seinem Wesen nach, kein reiner Nationalstaat sein; es muß sich nach der östlichen Seite hin mit fremden Elementen verbinden. Unsere Ströme fließen alle nach Nordwesten, bis auf die Donau, die uns nach dem Orient hinweist. Wir haben nur im Norden eine Küste und berühren im Süden nur an Einem Punkte das Adriatische Meer. Es fehlt uns das untere Donauland und das schwarze Meer. Da liegt die Küste, welche der baltischen Küste als die Gegenküste entspricht. Das große Donauthal bildet die Basis für das norddeutsche und sarmatische Flachland, welches ebenso für sich unvollständig [308] ist. Schon im Alterthume ging die Handelsstraße vom schwarzen zum baltischen Meere. Die müssen wir wieder herzustellen versuchen. Der Rhein und die Donau müssen von Mündung zu Mündung eine Handelsstraße bilden. Dann wird auch das ganze Gebiet, welches zwischen diesen großen Straßen liegt, seinen natürlichen Reichthum entwickeln. Der östliche Theil dieses Gebietes erzeugt einen Ueberfluß von Naturproducten, der westliche hingegen Manufacte. Beide ergänzen sich. Was ist das jetzt für ein Zustand? Unsere Fabriken stocken und unsere Arbeiter hungern; kommen wir aber in die Donauländer und in die sarmatischen Länder, da finden wir große Strecken des fruchtbarsten Bodens unbebaut, das Volk in Lumpen gehüllt und in schmutzigen Hütten wohnend. Also unsere Manufacte werden diese Leute bekleiden und ihnen menschliche Umgebungen verschaffen; sie aber werden unsere Arbeiter ernähren und dabei ihren eigenen Landbau befördern. Ungarn erzeugt die edelsten Producte und könnte sie in doppelter Menge erzeugen, wenn sie nur Absatz fänden. Nun so vereinigen wir uns doch, wobei wir noch obendrein ein ganzes Heer nutzloser Mauthbeamten ersparen! Auch Polen hat seine reichen Schätze; aber sie werden schlecht benutzt, und das Volk ist arm und elend. Nur allein das polnische Salz könnte in dreifacher Quantität gewonnen und für die Gewerbe und Agricultur verwandt werden; Felder und Wälder könnten das Doppelte liefern; der Handel in Hanf, Flachs, Leder, Talg und Wachs könnte einen höheren Aufschwung nehmen. Die extremen Schwankungen der Getreidepreise, die verderblichen Stockungen der Fabriken verschwinden; auf diesem großen Gebiete gleicht sich alles mehr aus: denn es wird da nicht leicht einen allgemeinen Mißwachs geben. Und da man im östlichen Theile dieses Gebiets auf Verkauf producirt, so wird man große Magazine haben, und der Ausfall eines Jahres wird durch den Ueberschuß anderer Jahre gedeckt. [309] Es giebt keine Hungersnoth mehr. Steigen dann gleichwohl die Getreidepreise, so wird man im Osten mehr verdienen und dann mehr Manufacte des Westens consumiren, wodurch sich der Westen wieder entschädigt. Jetzt ist es nicht so. Steigen die Getreidepreise, so stocken oft zugleich die Fabriken; und das rührt daher, daß wir kein naturgemäßes Verkehrsgebiet haben.
Dies aber kann Deutschland nicht allein bilden; es kann nur durch die Föderation gebildet werden. Also ein großes vereinigtes Deutschland, nach Osten hin selbst wiederum durch Preußen und Oesterreich mit Föderativstaaten verbunden, und demnach ein großes föderatives Ländergebiet von jenseits der Schelde bis jenseits der Düna, und von den Schweizerbergen bis zum Pontus.
Nr. 167. 22. Juli 1848.
Der Kindersegen.
D Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen und es ist auch dafür gesorgt, daß nicht mehr Menschen leben, als da Nahrung finden; aber es ist nicht dafür gesorgt, daß nicht mehr Menschen geboren werden, als von den vorhandenen Lebensmitteln leben können. Darum müssen die überzählig Geborenen aus Mangel an Nahrungsmitteln sterben, sterben entweder wie in China durch den dort üblichen Kindermord, oder sterben wie in Europa durch Elend und Verkümmerung. Malthus hat die berüchtigte Verhältnissberechnung zwischen der Vermehrung der Geburten und der Vermehrung der Lebensmittel aufgestellt, wonach jene eine geometrische, diese eine arithmetische Reihe bildet; er hat damit die Uebervölkerungsfrage so stark hervorgehoben, daß sie seitdem nicht mehr übersehen werden konnte, und immer von Neuem wieder auf’s Tapet kam. Man fand es unerträglich, daß die Natur, [310] wie es seit Jahrtausenden der Fall war, sich selbst helfe, indem sie die überflüssigen Menschen gleich jenen Seidenwürmern, die früher auskriechen, als die Maulbeerbäume Blätter getrieben haben, verhungern läßt, und man wußte doch auch kein Mittel, der Natur für den Fall einer ungehemmten Geburtsprogression die nöthige Fülle von Nährstoffen abzugewinnen. In dieser Verlegenheit nahm man seine Zuflucht zur Moralität der Menschen, zum moral restraint, zur moralischen Selbstbeschränkung: man appellirte an die Entsagung.
Wie man auch über den Werth der Entsagung denken mag, der Erfolg dieser Theorie hat wenigstens gezeigt, daß die Theoretiker wie immer im Abstracten stecken blieben und sich die Sache durch ihre rigorose Zumuthung nur leicht gemacht hatten. Die Menschen wurden trotz aller Ermahnungen keine Engel, und setzten nach wie vor mit größtem Leichtsinn Kinder in die Welt, Kinder, welche aus Mangel an Unterhaltungsmitteln nothwendig verkümmern und nach langsamer Verhungerung eines “natürlichen Todes” sterben mußten.
Als man sah, daß die Entsagungslehre nicht durchschlug, und die Menschen wenig Geneigtheit zeigten, sich selbst Zwang anzuthun, dachte man daran, ihnen gegen ihren Willen Zwang anzuthun. Ohnehin waren schon unzählige Menschen, z. B. Soldaten, Gesellen, Dienstboten u. s. w. durch ihren Stand zur Ehelosigkeit genöthigt; es durfte daher nur dafür Sorge getragen werden, daß auch durch die Unehelichkeit keine überschüssige Volksvermehrung entstünde. Die Theoretiker fügten also zum moralischen Zwange – dem Malthus’schen moral restraint – den physischen Zwang hinzu. C. A. Weinhold ist der bekannteste dieser Theoretiker. Er ereiferte sich in den letzten zwanziger Jahren außerordentlich über die “Uebervölkerung in Mitteleuropa” und war ehrlich und entschieden genug, um mit seinem unbarmherzigen Radicalmittel offen herauszurücken. Da [311] diese Heilmethode, die Infibulation, nur die practische Ergänzung zur Entsagungslehre ist, so wird es nicht uninteressant sein, sie hier in kurzen Zügen so darzustellen, wie sie Weinhold sich dachte und der Welt in mehreren Schriften eifrigst anempfahl. Sie bildet das zweite Stadium der Uebervölkerungsfrage. Weinhold schließt in einer populär-philosophischen Einleitung seinen Rath genau an die Entwicklungslehre an; er sagt: “Es ist letzter Zweck der Schöpfung, den moralischen Gesetzen alles unterworfen zu sehen. So wie das Individuum für sich selbst im Besonderen, so muß auch die ganze civilisierte Menschheit im Allgemeinen, welche durch weise Lehrer und Gesetzgeber über sich selbst bereits zum wahren Bewußtsein gebracht worden ist, mit ihrer Freiheit den Kampf beginnen gegen solche Erscheinungen einer bloßen Naturnothwendigkeit, welche sie mit den Thieren auf gleiche Stufe stellt (die Geschlechtsfunction nämlich); sie muß frei sein, den rechten Gebrauch einer moralischen Freiheit ernstlich wollen, wenn sie ihr Glück und das Glück der werdenden Geschlechter dauernd begründen will.” Der Unterschied zwischen der ersten und dieser zweiten Entsagungslehre ist nur der, daß dort das Individuum die Entsagung, wenn auch im Sinne der Menschheit oder Humanität, doch mit sich selbst abzumachen hat, während hier “die Menschheit” das Entsagung übende Subject ist; die Menschheit aber muß natürlich die einzelnen widerspenstigen Individuen – zwingen, wenn sie nicht freiwillig im Sinne der Menschheit leben. Man kann nicht sagen, daß Weinhold hierin irgendwo vom sittlichen Principe abweiche; die sittlichen Mächte, wie Kirche, Staat, Gemeinde u. s. w. unterwerfen stets diejenigen Individuen, welche sich den sittlichen Gesetzen nicht gutwillig fügen, einem unerbittlichen Zwange, lebenslänglicher Einsperrung u. dergl. Im Bewußtsein seiner sittlichen Berechtigung geht Weinhold daher auch zur unverschleierten Darlegung seines Planes fort und sagt: “Ich [312] schlage als eine allgemeine und dringend nothwendige Maßregel eine Art von unauflöslicher Infibulation mit Verlöthung und metallischer Versiegelung vor, welche nicht anders als nur gewaltsam geöffnet werden kann, ganz geeignet, den Zeugungsact bis in die Ehe zu verhindern”. Es folgt nun die Beschreibung dieses Schlosses, dessen gewaltsame Eröffnung mit Ruthen, mit der Tretmühle, und mit hartem Gefängniss bestraft werden soll. Diese Infibulation soll den Knaben vom vierzehnten Lebensjahre an angelegt und bis zum Eintritt in die Ehe bei solchen Individuen angewendet werden, welche erweisbar nicht so viel Vermögen besitzen, um die außerehelich erzeugten Wesen bis zur gesetzmäßigen Selbständigkeit ernähren und erziehen zu können. “Sie verbleibe aber bei denen zeitlebens, welche niemals...